Universität St.Gallen

                            Das Bidding-System der Universität St.Gallen
                            Ein kompliziertes Schachspiel
                            Grundlagenökonomie und Spieltheorie als Schlüssel zur erfolgreichen Kurswahl

                            Hannes Grassegger im Gespräch mit Prof.Dr. Tilman Slembeck, im April 2003

                             Herr Prof. Slembeck, an welchen Institutionen sind Sie derzeit beschäftigt bzw. in der Lehre tätig?

                             Ich bin Dozent an der volkswirtschaftlichen Abteilung der Universität St. Gallen und habe auch eine
                             Professur an der Zürcher Hochschule Winterthur. Daneben arbeite ich auch an anderen Hochschulen,
                             etwa an der European Business School in Oestrich/Winkel, sowie in der Managementweiterbildung,
                             beispielsweise in der Schweizerischen Gesellschaft für Organisation und der Zürcher Kantonalbank.

                             Wir wollen in diesem Interview die ökonomischen Grundlagen und Hintergedanken eines universitären
                             Kurszuteilungssystems betrachten. Wie haben denn Sie als Student damals Ihre Kurse gewählt?

                             Als ich Student war, da gab es keine grossartigen Wahlmöglichkeiten. Mit der Entscheidung für eine
                             bestimmte Richtung hatte man ein Paket vor sich, das nur relativ wenige Freiheiten liess. Es gab schon
                             Freiheiten im Bereich der Sprache, die hab ich dann einfach nach Präferenzen gewählt - aber sonst
                             konnte man eigentlich nicht viel wählen oder abwählen.

                             Und haben sich bei diesem Paket Probleme ergeben – zum Beispiel überbelegte Kurse?

                             Das gab es eigentlich damals nicht, weil hier alles noch etwas weniger überfüllt war. Die ganze
                             Grundstufe war für die Wirtschaftswissenschaften vorgegeben, das waren 4 Semester, und da konnte man
                             alles belegen, da gab es keine Knappheitsprobleme.

                             Das aktuelle Bidding-Verfahren will eine grössere Effizienz in der Kurszuteilung erzielen, um auch bei
                             höheren Studierendenzahlen einer Überbelegung vorzubeugen und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Die
                             Universität vergibt dabei 1000 Punkte an jeden Studenten und lässt den Rest von ökonomischen
                             Prinzipien regeln – von welchen?

                             In erster Linie ist das Bidding-System nichts anderes als ein Allokationsmechanismus. Ich als Ökonom
                             würde es einfach als solchen verstehen. Bei der Allokation gibt es verschiedene Möglichkeiten: Man
                             könnte die Kurse autoritär zuteilen, d.h. die Verwaltung könnte bestimmen, wer in welchen Kurs kommt.
                             Man könnte die Kurse auch verlosen, also das Glück ins Spiel bringen. Oder man könnte sie aber auch
                             versteigern, also mit Geld Einfluss nehmen. Und letztlich ist das Biddingsystem eine Art
                             Versteigerungssystem, in dem jeder gleich viel Geld bekommt – nämlich 1000 Punkte – das ist hier
                             sozusagen die Zahlungseinheit, eine "Pseudowährung" der HSG im Rahmen eines Bietverfahrens, das
                             diese Kurse alloziert. Eigentlich handelt es sich sogar um einen Markt mit dem Monopol-Kursanbieter
                             HSG und den Studierenden als Nachfragern, die untereinander in Konkurrenz stehen.

                             Das zweite vertretene Prinzip ist natürlich das Prinzip der Präferenzen. Dadurch, dass ich eine
                             unterschiedliche Menge von Punkten vergeben kann (für bestimmte Kurse), kann ich meine Präferenzen
                             ausdrücken. Das ist sehr ökonomisch. Durch die Punktezuordnung wird die Zahlungsbereitschaft
                             ausgedrückt. Für einen Kurs, den ich unbedingt möchte, habe ich eine höhere Zahlungsbereitschaft, und
                             gebe ich mehr Punkte, als für einen Kurs, der mir nicht so wichtig ist, den ich zwar nehmen würde, aber
                             nicht um jeden Preis.

                             Das dritte ökonomische Prinzip, das man auch sogleich sieht, ist der Tradeoff, und damit verbunden die
                             Opportunitätskosten. Das heisst: Ich kann nicht alles gleichzeitig belegen, ich muss aufgrund meiner
                             Präferenzen zwischen verschiedenen Alternativen abwägen. Wenn ich das Eine wähle kann ich nicht
                             gleichzeitig auch das Andere wählen. Dieses Abwägen muss ich letztlich über die Punktevergabe
                             vornehmen. Tradeoffs und Opportunitätskosten sind zwei Seiten derselben Medaille.

                             Wie wichtig ist die Spieltheorie beim Bidding? Letztlich ist ja der Ausgang zu weiten Teilen von den
                             Interdependenzen unter den Studierenden abhängig?

                             In der VWL haben wir es oft mit einzelnen Wirtschaftssubjekten zu tun, die nur über den Markt
                             interagieren und sich nicht direkt beeinflussen können. Bei der Spieltheorie kommt die Interdependenz
                             hinzu. Wie in einem Brettspiel, nehmen Sie Schach: Da überlege ich mir eben, wie Sie auf meinen Zug in
                             Ihrem nächsten Zug reagieren und wie ich dann wiederum reagiere und so weiter. In meinem Verhalten
                             antizipiere ich sozusagen strategisch Ihr Verhalten.

                             Und das ist ja typischerweise auf dem perfekten Markt nicht so: Wenn ich mir in der Migros einen Joghurt
                             kaufe, dann ist das keine strategische Interaktion zwischen mir und der Migros. Ich gehe einfach hin und
                             kaufe oder kaufe nicht zu dem Preis, der angeschrieben ist, und damit ist die Story vorbei.

                             Je weniger Marktteilnehmer es aber gibt, umso strategischer wird es. Im Extremfall sind nur zwei
                             Personen involviert, das wäre ein Zwei-Personen-Spiel, das ist dann die grösste Strategische
                             Interdependenz oder gegenseitige Abhängigkeit. Das ist das Charakteristikum von Spielsituationen und
                             von spieltheoretischen Situationen.

                             Wenn wir zwei zum Beispiel die einzigen Leute auf der Welt sind, dann sind wir quasi auch ein Bisschen
                             aufeinander angewiesen, und dann überlege ich mir in meinen Handlungen vorher, wie Sie später
                             reagieren, wenn ich so und so handle. Das berühmteste Beispiel hierfür ist das so genannte
                             Gefangenendilemma.

                             Dieses Gefangenendilemma ist nur ein einfaches Beispiel, hat aber sehr viele Anwendungen. Eine
                             klassische Anwendung ist etwa der Fall der Abrüstung.
                             Im kalten Krieg wussten beide Parteien, sagen wir Ost und West wenn man schematisch sprechen will,
                             dass es für beide besser wäre, wenn sie nicht aufrüsten oder gar abrüsten würden. Warum haben sie
                             trotzdem aufgerüstet? Weil die schlechteste Situation die ist, wo der eine abrüstet während der andere
                             heimlich aufrüstet. Im Gefangenendilemma ist das die Situation wo der eine schweigt, während der
                             andere ihn verpfeift. Und das ist die Situation, in die keiner, damals weder die USA noch die UdSSR,
                             kommen wollte. Die Abrüstung hat erst dann funktioniert, als man gegenseitige Kontrollen und
                             gegenseitiges Vertrauen schaffen konnte.

                             Inwiefern ist vor diesem Hintergrund das Bidding-System auch ein Strategiespiel?

                             Das ist eine sehr interessante Frage. Also prinzipiell handelt es sich beim Bidding nicht um eine typisch
                             spieltheoretische Situation, sondern wie bereits erläutert eher um eine monopolistische Marktsituation.
                             In der Praxis findet man eine ähnliche Situation dort, wo Interessengruppen (z.B. Importeure) um
                             staatlich vergebene Vorteile buhlen - z.B. Importlizenzen.
                             Es ist aber denkbar, dass die Studierenden Strategien entwickeln und sich überlegen, was die anderen
                             denn tun. Ich denke, die grösste strategische Gefahr ist der winner's curse. So bezeichnet man die
                             Gefahr des unverhältnismässig hohen Überbietens. Jemand, der starke Präferenzen für einen Kurs hat,
                             setzt möglicherweise zu viel – er bekommt zwar letztlich den Platz in diesem Kurs, gibt aber eigentlich zu
                             viele Punkte aus. Die strategische Herausforderung beim Bidding wäre jetzt für mich die
                             Zahlungsbereitschaft der anderen abzuschätzen.

                             Eine mögliche Strategie wäre, einen Kurs, den ich zwar sehr gerne belegen würde, von dem ich aber weiss,
                             dass ihn auch sehr viele andere gerne belegen werden, nicht zu belegen, so leid es mir tut, dafür dann
                             aber meine Punkte auf alles weitere zu verteilen und das dann ganz sicher zu bekommen. Vermutlich
                             müsste man im Vorfeld mit möglichst vielen Leuten sprechen und selbst nur strategisch vorteilhafte –
                             vielleicht auch falsche – Auskünfte geben.

zu Teil 2 des Interviews

Zurück zur Homepage