26.07.2011

Ein Haarschnitt für Griechenland

Viel hilft viel. Unter diesem Motto scheint letzte Woche der EU-Sondergipfel zur Rettung Griechenlands und des Euros in Brüssel gestanden zu haben. Der Rettungsschirm wurde um rechnerische 109 Milliarden Euro zum Rettungsballon aufgeblasen. Das ist alter Wein in gebrauchten Schläuchen. Neu ist einzig die „freiwillige“ Beteiligung privater Banken, Versicherungen und Fonds. Doch ist diese mit Fallstricken verbunden. Vor der richtigen, weil notwendigen Massnahme eines echten Schuldenschnitts ist man in Brüssel hingegen zurück geschreckt.

Private Anleger die auf faulen griechischen Staatspapieren sitzen, sollen diese in Anleihen mit längerer Laufzeit und tieferen Zinsen umwandeln. Dazu gibt es verschiedene Modelle (vgl. FTD), die alle mit einem um 21% tieferen Netto-Gegenwartswert im Vergleich zu den heutigen Papieren verbunden sind. Gemäss NZZ wird davon ausgegangen, dass 90% der Gläubiger das Umtauschangebot freiwillig nützen.

Gefangenendilemma

Doch warum sollten sie?  Für jeden Gläubiger besteht der günstigste Fall darin, dass alle anderen Gläubiger ihre Guthaben umwandeln, weil durch die Umwandlung der Marktwert der nicht umgewandelten Schulden steigt. Selbst wenn es für alle Gläubiger gemeinsam sinnvoll wäre, alle Schulden zu wandeln, ist dies für den einzelnen Gläubiger nicht rational, weil er mit grosser Wahrscheinlichkeit besser fährt, wenn er als einziger nicht wandelt. Wir stehen also vor einem Gefangenendilemma.

Aufgrund der aktuellen, tiefen Marktbewertung geht man nämlich davon aus, dass Bonds im Nominalwert von 33 Mrd. Euro für 22 Mrd. Euro zurückgekauft werden können. So würden 13 Mrd. Euro „gespart“. Allerdings bewirkt der Rückkauf einen Anstieg des Marktwertes der Restschuld. Je mehr Bonds gewandelt werden, umso höher der Marktwert der Restschuld, der schliesslich wieder dem Nominalwert entsprechen könnte. So weit wird es aber wohl nicht kommen, denn sobald der Marktwert nurmehr einen Abschlag von 21% beinhaltet, ist die Umwandlung nicht mehr attraktiv.

Mit dem (selektiven) Schuldenrückkauf wird also nicht nur Griechenland geholfen, sondern massgeblich auch den privaten Gläubigern; vgl. ausführlicher VOXEU.

Jetzt ein Haarschnitt

Viel griffiger als der Schuldenrückkauf wäre ein echter Schuldenschnitt, bei dem alle Gläubiger auf den selben prozentualen Anteil der Guthaben verzichten. Die Kosten eines solchen „Haarschnitts“ (engl. haircut) scheinen vielen Beteiligten zu hoch zu sein. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Kosten für Griechenland gar nicht so hoch wären.

Die hauptsächliche Befürchtung richtet sich auf einen zukünftig erschwerten Zugang zum Bondmarkt und hohe Zinsen für Griechenland. Ein Schuldner, der nicht alles zurückbezahlt hat es schwerer, neue Kredite zu erlangen. Empirische Studien zeigen, dass ein Schuldenausfall zu 2.5 Prozentpunkten höheren Kreditkosten während 10 Jahren führen kann; vgl. Economist.

Reputationsschaden?

Dabei ist zu bedenken, dass die Reputation Griechenlands bereits am Boden ist und es für künftige Kredite weniger bedeutsam ist, wieviele Prozente heute tatsächlich abgeschrieben werden müssen. Der Preis künftiger Kredite hängt nämlich nicht nur von vergangenen Zahlungsausfällen ab, sondern von der Erwartung der künftigen Fähigkeit des Landes, neue Kredite zurück zu zahlen. Und diese Fähigkeit hängt massgeblich von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes ab.

Ein Schuldenschnitt hat deshalb entscheidende Vorteile, indem sich Griechenland entlastet und seinen Staatshaushalt schneller wieder in Ordnung bringen kann. Die Belastung des Inlands durch Sparprogramme und Steuererhöhungen fällt geringer aus, sodass die Wirtschaft schneller wieder in Schwung kommt. Oder in den Worten des Economist: „Countries whose debt is not restructured bear a higher and more persistent penalty.

Gedächtnis der Märkte

Dies hat auch mit dem kurzen Gedächtnis der Finanz- und Kapitalmärkte zu tun. Eine Studie stellt fest, dass die Ratings von Staatschulden in den Jahren 1999 bis 2002 nur von Zahlungsausfällen nach 1995 beeinflusst wurden. Was davor geschah, schien vergeben und vergessen. – Dass übrigens Griechenland vor über 100 Jahren bereits ein ähnliches Debakel wie heute erlebte und sich viele Analogien finden lassen, ist wohl nur Historikern bewusst. Schon damals wurde den griechischen Politikern vorgeworfen, dass sie „die öffentliche Sphäre nur als Quelle von Profit und Ämtern“ sähen; vgl. NZZ.

Zwei Aspekte sollen bei einem Schuldenschnitt bedacht werden. Erstens handelt es sich bei Griechenland um das einzige reiche, westliche Land, das seine Schulden in jüngerer Zeit nicht vollständig zurückbezahlt. Weil mit diesem Fall keine neuere historische Erfahrung besteht ist es unsicher, wie schnell die Märkte nach einem echten Schuldenschnitt zum courant normal zurückkehren werden.

Am ehesten kann man vielleicht Parallelen mit Irland und Island bezüglich deren Rettung der Banken ziehen. Während der irische Staat bzw. Steuerzahler noch lange für vergangene Sünden aufkommen muss und das Land über Jahrzehnte belastet wird, hat Island eine gewisse Kaltschnäuzigkeit bewiesen (NZZ), die Schulden von Icesave nicht übernommen und fährt damit vergleichswiese gut. Wobei anzumerken ist, dass es Island gewissermassen einfacher hatte, weil es nicht EU-Mitglied ist und sich die Schulden hauptsächlich auf zwei Gläubigerländer konzentrieren.

Zweitens darf freilich die Entschuldung nicht dazu führen, dass notwendige Reformen nicht durchgeführt werden, etwa bei der Verschlankung eines überbordenden Staatssektors oder beim Eintreiben von Steuern, wie im Falle Griechenlands. Es ist schon unglaublich, dass in einem EU-Staat Steuern systematisch nicht eingezogen werden und nun private Firmen zur Hilfe eilen müssen; vgl. NZZ.

Zusammenfassend scheinen die langfristigen Kosten eines griechischen Haarschnitts tiefer zu sein als dessen Kosten. Der Erfolg des nunmehr eingeschlagenen Wegs des Schuldenrückkaufs ist jedenfalls höchst unsicher. Gut möglich, dass eine Rasur dennoch nötig wird.

Schliesslich kann der „Eintritt des Schadensfalls“ langfristig durchaus positive Signalwirkungen haben – nicht zuletzt für ein finanziell nachhaltiges Gebaren anderer Länder. In der Vergangenheit hatten die Finanzmärkte und deren Anleger nämlich fast blindlings Staatschulden aus der EU gekauft und dabei auf die Ratings von Agenturen vertraut.

Das tatsächliche Abschreiben von Guthaben mahnt die Märkte künftig daran, Risiken sorgfältiger abzuschätzen und risikogerechte Zinsen zu verlangen. Dies wiederum zwingt die Staaten zu vermehrter Finanzdisziplin. Wie wir aus vielen Beispielen der Verhaltensökonomie wissen, erfolgt eine Verhaltensänderung meist nur aufgrund eines konkreten, möglichst selbst erlebten Ereignisses. Was wir schon wussten (und auch hoffen): Aus Schaden wird man klug.

Kommentare

Nun doch ein Schuldenschnitt
Endlich hat man sich darauf geeinigt, dass ein Schuldenschnitt für Griechenland unumgänglich ist. Manchmal braucht die Politik etwas länger. Allerdings setzt man auf einen “freiwilligen Verzicht” der Gläubiger. Wie viele da tatsächlich mitmachen werden, ist unklar.

Der Grund für die “Freiwilligkeit” ist, dass in diesem Falle die Kreditausfallversicherungen (CDS) nicht in Anspruch genommen werden können. Der CDS-Markt ist sehr intransparent. Offenbar besteht die Angst, dass bei einer Inanspruchnahme der Versicherung, eine unheilvolle Kettenreaktion ausgelöst werden könnte.

Da fragt man sich natürlich, warum solche Versicherungen überhaupt gekauft werden, insbesondere für grössere Länder wie Portugal, Spanien oder Italien. Ich habe stark den Eindruck, dass selbst die Akteure am CDS-Markt diesen nicht ganz durchschauen. Sie kaufen CDS wohl eher aus psychologischen Motiven, insbesondere um sich im Schadensfall nicht vorwerfen zu lassen, sie hätten vorher nichts unternommen.
Dass die CDS bei einem Grossschaden effektiv funktionieren würden, glaubt hingegen niemand wirklich.

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