29.04.2012

Europa spart. Wirklich?

Sparen ist in aller Munde. Italien, Spanien und Holland sparen. Irland und Portugal so wie so, und Griechenland erst recht. Nur die Schweiz nicht. Sie plant Milliarden für neue Kampfflugzeuge auszugeben. Wie geht das?

Ökonomisch gesehen bedeutet Sparen, dass die privaten oder staatlichen Ausgaben geringer sind als das Einkommen bzw. die staatlichen Einnahmen. Dieser fundamentale ökonomische Zusammenhang wird in der aktuellen Debatte um das Sparen der europäischen Staaten gründlich verkannt. Keiner der genannten Staaten erzielte in den letzten Jahren einen Haushaltsüberschuss, ausser der Schweiz.*

Selbst die so genannte Qualitätspresse verwendet seit einiger Zeit einen pervertierten Sparbegriff. So berichtete die NZZ kürzlich, dass Spanien „mit einem beispiellosen Sparkurs hofft, dem mit der EU vereinbarten Defizitziel gerecht zu werden.“ Alles klar?

Da wird also gespart, um ein Defizitziel zu erreichen. Dieses sollte gemäss EU-Richtlinien eigentlich bei maximal 3% des Bruttoinlandprodukts (BIP) liegen, wurde aber auf 4.4% gesenkt und nun auf Drängen der neuen spanischen Regierung auf 5.3% gemildert. Die Rede ist hier von der geplanten Neuverschuldung Spaniens für das laufende Jahr, also 2012.

Unechtes Sparen

Sparen bedeutet hier nicht wirklich sparen, sondern das jährliche Defizit weniger gross ausfallen zu lassen als ursprünglich geplant. Im Falle Spaniens geht es nicht um staatliche Überschüsse, sondern um 27 Mrd. Euro weniger Defizit.

So gesehen bin ich ein Mega-Sparer. Ich habe mir keinen Ferrari auf Pump gekauft und damit rund 200‘000 CHF gespart. Auch besitze ich keine fremdfinanzierte Kalte-Betten-Wohnung im Engadin, was mir eine gute Million spart. Wenn ich all das zusammen rechne, was ich mir nicht mit fremden Geldern geleistet habe, komme ich ganz allein auf die eine oder andere Million. Die meisten Leser dieses Blogs wohl auch. – Europa spart also nicht wirklich, es versucht etwas weniger über seine Verhältnisse zu leben.

Erhellend ist auch der Titel des NZZ-Berichts zum spanischen Haushaltsentwurf für 2012: «Strengstes Budget aller Zeiten». Wenn eine Neuverschuldung von 5.3% bereits ein rekordverdächtig strenges Budget bedeutet, wie haben dann die anderen Budgets ausgesehen?

Ganz so schlimm wie es die NZZ malt, ist das spanische Gemälde allerdings nicht. Von 2005 bis 2007 erzielte Spanien noch Haushaltsüberschüsse von 10 – 20 Mrd. Euro pro Jahr. Und der spanische Schuldenbestand war letztes Jahr mit 68.5% des BIP ähnlich hoch wie jener der Niederlande (65.2%), aber geringer als jener von Österreich (72.2%). Das ist sehr viel weniger als die 120% welche Italien und die 168% welche Griechenland 2011 auswiesen.*

Echtes Sparen

Im wirklichen Sinne gespart hat in den letzten Jahren – trotz Finanzkrise – hingegen die Schweiz. Während in den 1990er Jahren auf allen staatlichen Ebenen, d.h. Bund, Kantone, Gemeinden und Sozialversicherungen, massive Defizite eingefahren wurden, resultieren seit 2006 erkleckliche Überschüsse (Graph 1). Diese wurden insbesondere beim Bund zum kontinuierlichen Abbau des Schuldenstandes eingesetzt, sodass dieser nun nurmehr 20% des BIP beträgt (Graph 2).

Auch die Schuldenquote aller staatlicher Ebenen insgesamt sank von über 50% anfangs des letzten Jahrzehnts auf aktuell 36.5% des BIP. Dies ist die tiefste Schuldenquote aller OECD-Länder, sodass unsere Helvetia im internationalen Vergleich als Mustermädchen gelten darf. — Die Staaten des Euro-Raums hingegen weisen 2011 eine Schuldenquote von 88.6% auf, was deutlich über dem Schwellenwert von 60% liegt, welcher gemäss Maastricht-Vertrag einzuhalten wäre (Graphik 3).

Aktuell – und in absehbarer Zeit – ist die Schweiz also das echte Spar-Land. Daran wird auch der geplante Kauf von Kampfflugzeugen wenig ändern.

Mentalitätsfrage?

Ob das auch etwas mit der Mentalität zu tun hat? Interessant ist jedenfalls, dass unsere etwas grösseren Nachbarn, Baden-Württemberg (11 Mio. Ew.) und Bayern (12.5 Mio. Ew.), ebenfalls eine gute Finanzdisziplin aufweisen und im letzten Jahr Schulden abgebaut haben. Dafür dürfen sie kräftig in den innerdeutschen Finanzausgleich zahlen. Für die 3.5 Mrd. Euro, welche sie 2010 in den Finanzausgleich bezahlt haben, könnten sich die Bayern problemlos  eigene Kampfflugzeuge leisten.

*Quellen:

Schweiz: Finanzstatistik des Bundes / EU: Eurostat

Neuverschuldung und Schuldenstand im Google Public Data Explorer (kann via Link “Daten auswerten” angepasst werden).

Kommentare

[...] ich hier beschrieben habe, bedeutet Sparen heutzutage, dass die Staaten ihre Defizite reduzieren. Die Folge [...]

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