14.04.2014

Einheitskasse: Bejubelt und verteufelt

Seit dem Zustandekommen der Initiative «Für eine öffentliche Krankenkasse» im letzten Winter, ist die Schweizer Gesundheitspolitik wieder in Bewegung. Die Initianten wollen die heute rund 60 Kassen in der Grundversicherung abschaffen und durch eine einzige ersetzen. Sie versprechen sich von einer Einheitskasse eine bessere Behandlungsqualität sowie eine Dämpfung des Kosten- und Prämienwachstums. Die Gegner warnen hingegen vor einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens durch eine Monopolkasse. – Eine differenzierte Analyse zeigt, was davon zu halten ist.

Wie so viele politische Vorstösse, hat auch die Einheitskasse sowohl Vor- als auch Nachteile, die es abzuwägen gilt.

Vorteile der Einheitskasse

Der wohl bedeutendste Vorteil einer Einheitskasse besteht in den besseren Anreizen zur Gesundheitsförderung. Aufgrund der Möglichkeit zum jährlichen Kassenwechsel haben die Versicherer heute nur schwache Anreize, in Massnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung ihrer Versicherten zu investieren. Die entsprechenden Kosten führen nämlich zu höheren Prämien und können dann eine Abwanderung der Versicherten zu günstigeren Kassen bewirken. Eine Einheitskasse kann hingegen langfristig darauf zählen, dass sie die Früchte ihrer Bemühungen um die Gesundheit ihrer Versicherten auch selbst ernten kann.

Ob sich damit langfristig auch die Kostenentwicklung in den Griff bekommen lässt, ist allerdings offen. Die Hoffnung der Initianten besteht offenbar auch darin, dass eine Monopolkasse mit den Leistungserbringern (Ärzteschaft, Spitäler etc.) aufgrund ihrer Machtposition bessere Tarife aushandeln kann.

Dies hängt wiederum stark von der Führung der Einheitskasse ab. Wird die Leitung und Steuerung der Monopolistin unter Einbezug verschiedener Interessengruppen paritätisch besetzt, ist kaum mit härteren Verhandlungen und tieferen Tarifen zu rechnen, als dies heute bereits der Fall ist.

Ein weiterer Vorteil einer Einheitskasse besteht im Wegfall der «Jagd auf gute Risiken», wie sie heute zwischen den Kassen existiert. Der Mechanismus des Risikoausgleichs würde ebenso wegfallen, wie die lästigen Anrufe von Maklern und deren Provisionen. Das Einsparungspotential ist allerdings nicht besonders gross und wird auf gegen 100 Mio. Franken pro Jahr geschätzt. Ebenso überflüssig würde die Werbung in der Grundversicherung, wobei sich auch hier nicht allzu viel einsparen lässt.

Der gesamte Verwaltungsaufwand der Kassen beträgt nämlich lediglich ca. 5% der Prämieneinnahmen, inklusive Werbekosten. Dies bedeutet, dass bereits heute 95% der Gelder von den Kassen weiter gereicht werden, was auf eine relativ gute Effizienz hinweist. Grund ist die automatisierte Rechnungsabwicklung der meisten Kassen. Bis eine Einheitskasse dieses Effizienzniveau erreicht, würde es viele Jahre dauern.

Im Vergleich zu den rund 65 Milliarden Franken Gesamtkosten liegen die Einsparungsmöglichkeiten in den Bereichen Kassenwechsel, Werbung in der Grundversicherung und Verwaltung im Bereich von maximal 1 bis 2%.

Nachteile der Einheitskasse

Auf der anderen Seite weist eine Einheitskasse auch gewichtige Nachteile auf.

Bedeutsam ist sicherlich, dass kein Kassenwechsel mehr möglich ist. Gegenwärtig besteht für unzufriedene Versicherte immer die Option, zur Konkurrenz zu gehen. Dieser Wettbewerb erhöht die Servicebereitschaft der Kassen massgeblich und würde bei einer Einheitskasse wegfallen. Wer dort unzufrieden ist, kann sich allenfalls noch an eine staatliche Aufsichtsstelle wenden, was zusätzliche Bürokratie mit sich bringt.

Ein ähnlicher Mechanismus besteht auch im Bereich der Innovation. Der Wettbewerb schafft gegenwärtig Anreize für die Kassen, neue Versicherungs- und Versorgungsmodelle gemeinsam mit den Leistungserbringern zu entwickeln. Insbesondere der Trend zur integrierten Versorgung, bei welcher die Patienten im Rahmen eines koordinierten Netzwerks verschiedener Leistungserbringer optimal betreut werden, wird sich fortsetzen. Triebkraft sind hierbei innovative Krankenkassen, die im Wettbewerb stehen.

Eine Monopolkasse wäre keinen entsprechenden Anreizen ausgesetzt, sondern müsste über politische Vorgaben gesteuert werden, was echter Innovation abträglich ist. Die politische Selbstblockade, welche die Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens seit vielen Jahren in wichtigen Bereichen lähmt, würde verstärkt.  So wurde die Managed Care Vorlage, welche integrierte Versorgungsmodelle fördern sollte, während 7 Jahren im Parlament vorbereitet, aber an der Urne aus verteilungspolitischen Gründen von genau jenen Exponenten der politischen Linken bekämpft, welche diese Modelle eigentlich befürworten. Hier biss sich die politische Schlange in den eigenen Schwanz.

Aus gesundheitsökonomischer Warte ist der Aspekt mangelnder Innovationskraft besonders negativ zu bewerten. Das weitaus grösste Potential zur Dämpfung der Gesundheitskosten und zur Steigerung der Versorgungsqualität liegt nämlich nicht im Bereich der Verwaltungskosten, sondern bei der Entwicklung innovativer Versorgungsmodelle.

Ein weiterer Negativpunkt betrifft die Kosten des Systemwechsels. Eine Studie des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie schätzt diese auf 1.75 Milliarden Franken. Der grösste Teil (ca. 1 Mia. Fr.) betrifft die Aufrechterhaltung von Parallelstrukturen während mehrerer Jahre. Jeweils rund 350 Mio. Franken fallen als Abbaukosten sowie als Aufbaukosten an. Dies unter der optimistischen Annahme, dass keine relevanten Probleme auftreten und alles reibungslos verläuft.

Wettbewerb und Wahlfreiheit

Auf politischer Ebene treffen bei der Einheitskasseninitiative zwei grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen aufeinander. Die politische Linke, welche mit ähnlichen Vorlagen bereits drei mal gescheitert ist, traut dem Wettbewerb nicht. Sie wünscht sich eine starke, politisch kontrollierte Monopolkasse, während die politische Mitte und Rechte mehrheitlich für eine Kontrolle durch Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern ist. Aus der Perspektive einer innovativen Weiterentwicklung der Versicherungs- und Versorgungsmodelle erscheint das Wettbewerbsmodell klar im Vorteil.

Auch die Exponenten der politischen Linken, welche die Managed Care Vorlage aus Gründen einer vermeintlich eingeschränkten Wahlmöglichkeit ablehnten, haben sich immer wieder explizit für die Notwendigkeit der Ausweitung der integrierten Versorgung ausgesprochen. Sowohl was diese Notwendigkeit anbelangt, als auch bezüglich der Einschränkung der Wahlmöglichkeiten bei Einführung einer Einheitskasse, bestehen hier deutliche Widersprüche. Warum sollen die Versicherten ihren Arzt ständig neu und frei wählen können, aber nicht ihre Krankenkasse?

Governance

Eine zentrale, aber bislang ungeklärte Frage betrifft die Steuerungsstrukturen einer möglichen Einheitskasse. Wer kontrolliert die Megakasse? Zu erwarten ist eine paritätische Kontrolle, bei welcher Vertreter aller Interessengruppen in der Leitung und im Verwaltungsrat der Einheitskasse Einsitz nehmen.

Damit würde die politische Selbstblockade gewissermassen institutionalisiert, die Verhandlungsmacht gegenüber den Leistungserbringern deutlich eingeschränkt und zudem der notwendigen Innovation und aktiven Weiterentwicklung ein Riegel geschoben. Das heutige Wettbewerbsmodell ist diesbezüglich kein Allheilmittel, aber einem staatlichen Grossmonopol in einem zentralen Bereich unseres Gesundheitswesens klar vorzuziehen.

Kommentare

In der Volksabstimmung vom 28. September 2014 haben die Stimmbürger die Initiative für eine öffentliche Krankenkasse mit einem Nein-Anteil von 62% klar verworfen.

Ein Abgesang von liberalem Denken, das letztlich die “Gretchenfrage” ausser acht lässt.

Wer soll und kann letztlich die einseitge Ausdehnung des Angebots und der Nachfrage (unendlich bis zum Tod) eindämmen, wenn der Preis nicht spielen kann?

Insofern ist der Marktglaube auch “Aberglaube” ihn ins Gegenteil zu kehren und zur Effizinz zu führen, welche nur darin liegen kann, seine Gewinne zu maximieren. Jeder Arzt, Krankenasse, Therapeut usw. eine AG – mit Beamten liessen sich die Kosten eher steuern.

Was sich dann Private – Vermögende leisten sollen / können, kann nicht für eine Gesellschaft gelten, so leid mir das auch im Einzelfall tut. Oder könnten Sie sich vorstellen, das jeder einen Porsche fahren kann und ein Einfamilienhaus mit Umschwung besitzen?

Wirtschaftsökonimie als Feigenblatt für die Politik – da müsste doch der Verstand einschalten, egal welcher Ideologie man nachträumt …..

Vielleicht sollte man mal überlegen, welche Probleme man besser nicht mit dem Markt lösen sollte?

Dirk Löhr: Wie eine „unsichtbare Hand“ nach der „Allmende“ greift:
http://www.sozialoekonomie.info/Zeitschrift_fur_Sozialokonomie/LeseProben/Lohr__Property-Rights/ZfSO-155_Lohr.pdf

Bei einem Obligatorium gibt es leider keinen Markt, ausser einen, der künstlich die Kosten Verlagert und einzelne wirtschaftlich partizipieren lassen kann ….

Wer trägt dann letztlich die VERANTWORTUNG?

Der Markt – billige Antwort … ?

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