25.03.2010

Kassensturz bei den Ärztelöhnen

Warum die Ärztelöhne so unterschiedlich sind und was man dagegen machen kann

Alle zwei Jahre publizieren die niedergelassenen Ärzte ihre Einkommen. Im Durchschnitt betrug dieses 208′755 CHF im Jahre 2006. Das ist beeindruckend – selbst wenn man davon noch ca. 18% für AHV etc. abziehen muss. Noch eindrücklicher sind allerdings die Einkommensunterschiede.

Während die Kinderpsychologen nur etwa 110′000 CHF verdienten, kamen die Neurochirurgen als Spitzenverdiener auf 428′000 CHF, und zwar im Schnitt - das war vor 4 Jahren. Die grösste Gruppe sind die 3′542 Allgemeinmediziner (Hausärzte), welche 193′000 CHF verdienten. Für diese Unterschiede gibt es drei hauptsächliche Gründe, über die kürzlich auch der Kassensturz berichtet (vgl. das Video, inkl. Interview mit mir ab Minute 2:55 ). 

Gründe

Erstens können einige Fachrichtungen als Belegärzte in Spitälern ihr Einkommen teilweise massiv aufbessern, indem sie dort zusatzversicherte Patienten behandeln. Zweitens ist aber bedeutender, dass der Tarif für viele Spezialistenleistungen im Leistungskatalog (TARMED) sehr hoch angesetzt ist. Bei dessen Einführung 2003 wollte man sogenannt “technische Leistungen” (solche mit viel Technik und Geräten) tiefer bewerten und dafür “intellektuelle Leistungen” (Betreuung, Beratung etc.) höher einstufen. Diese Umschichtung ist aber aufgrund des Widerstands der Spezialisten gründlich schief gegangen und der Tarif bevorzugt noch immer technische Spezialisten, wie etwa die Radiologen. Dafür konnten die Psychiater ihren Umsatz von 2003 auf 2004 um bis zu 32% ausdehnen ! Die genauen Zahlen sind hier zu finden.

Drittens haben Spezialisten noch stärker als die Allgemeinmediziner die Möglichkeit, die Nachfrage nach ihren Leistungen zu steuern und durch zusätzliche Leistungen ihr Einkommen aufzubessern. Wenn in einer Gemeinde eine zusätzliche Bäckerei eröffnet wird, steigt der Brotkonsum kaum. Wenn aber eine neue Spezialpraxis aufgeht, werden etwa 50% zusätzliche Leistungen generiert. In der Fachsprache handelt es sich um eine “anbieterinduzierte Nachfrage“. Aber auch Allgemeinpraktiker können gemäss einer Studie der Kommission für Konjunkturfragen von 2006 ca. 30% ihrer Leistungen zusätzlich generieren. – Insgesamt ist der direkte Zugang zum Spezialisten für alle Versicherten ein wichtiger Grund für die hohen Gesundheitskosten in unserem Lande.

Was kann man tun?

Bezüglich der Kostenentwicklung besteht ein wichtiger Ansatzpunkt darin, die Position der Hausärzte zu stärken, indem der Weg des Patienten nicht direkt zum Spezialisten, sondern immer zuerst zum Allgemeinpraktiker führt. Dieser entscheidet, ob der Besuch beim (teureren) Spezialisten überhaupt nötig ist. Wenn die Hausärzte in ihrer Rolle als sog. “Gatekeeper” gut ausgebildet sind, lässt sich damit Geld sparen, ohne dass die Qualität sinkt. Die gute Ausbildung ist hier zentral.

Bezüglich der Einkommensunterschiede lässt sich via Tarife leider nicht viel machen. Würde man die Einkommen aller überdurchschnittlich verdienenden Spezialisten senken und dafür jene der geringer verdienenden Ärzte erhöhen, kämen die Allgemeinmediziner auf 15′000 CHF mehr Einkommen. Diese 8% mehr sind nicht umwerfend. Der Grund für diese geringe Wirkung ist, dass es eben sehr viele Allgemeinmediziner, Kinderärzte und Psychologen gibt, die man aus Mitteln der anzahlmässig wenigeren, aber hochbezahlten Spezialisten besser stellen müsste. Den 35 Neurochirurgen, 139 Radiologen und 107 Urologen ihre Einkommen zu kürzen, macht den Braten nicht fett. – Reine Umverteilung ist also nicht zielführend, auch wenn einige TARMED-Positionen zu kürzen sind, wie selbst der Präsident der Ärzteschaft im Kassensturz-Interview zugibt.

Lösungswege: Vertragsfreiheit und simulierter Markt

Die richtige Lösung besteht hingegen in der Schaffung von Vertragsfreiheit und individuellen Preisverhandlungen. Können die Versicherer ihre Vertragspartner wählen, werden sie Ärzte in jener Zahl (und Qualität) unter Vertrag nehmen, dass ihre Versicherten gut versorgt sind. Versicherer mit zu wenigen Vertragsärzten werden schnell Kunden verlieren und deshalb besonders auf eine ausreichende Zahl und Qualität achten. Überall wo es zu viele und zu teure Spezialisten gibt, z.B. in Städten wie Basel oder Genf, werden dann nicht mehr alle Ärzte so wie heute automatisch der Sozialversicherung Rechnung stellen können. Es findet eine Marktbereinigung statt. Davon profitieren gleichzeitig aber auch die gesuchten Ärzte, insbesondere auf dem Lande, wo es heute teilweise an Nachwuchs mangelt.

Gegen die Vertragsfreiheit wehrt sich die Ärzteschaft verständlicherweise mit Händen und Füssen. Denn es ist viel einfacher, dem direkten Preis-Leistungs-Wettbewerb mittels Kontrahierungszwang auszuweichen. Bleibt dieser also aus politischen Gründen (hoffentlich nur vorerst) bestehen, gibt es immerhin noch die Möglichkeit, den fehlenden Markt zu simulieren.

Dies ist möglich, wenn der Taxpunktwert - nach welchem die Ärzte ihre Leistungen bezahlt bekommen - von der Angebotsdichte abhängig gemacht wird. Überall dort, wo es viele Ärzte mit einer bestimmten Spezialität gibt (pro Einwohner gerechnet), ist der Taxpunkt weniger wert als dort, wo das ärztliche Angebot gering ist. Dies verringert nicht nur die Attraktivität der spezialärztlichen Tätigkeit in überversorgten Gebieten, sondern steigert im Gegenzug die Attraktivität der Landärzte.

Man sieht: Etwas mehr Markt würde unserem Gesundheitswesen nicht schaden, indem nicht nur die kostentreibende Ausweitung der Spezialisten gebremst, sondern auch noch das zunehmende Problem des Hausärztemangels gebremst wird.

PS: Ist diese Vorstellung realitätsfremd?

Keineswegs. Bei den Zahnärzten haben wir seit langem einen Markt. Sie wählen ihren Standort und ihre Taxpunktwerte nach Marktbedingungen. Trotzdem – oder gerade deswegen – mangelt es uns nicht an Zahnärzten und die Versorgungsqualität ist im internationalen Vergleich sehr hoch.  Niedergelassene Zahnärzte agieren im Markt als freie Unternehmer. Die allermeisten übrigen Ärzte nicht.

Kommentare

Jedes Jahr publiziert die FMH die Einkommen der Praxisärzte. Und jedes Jahr vergessen die Medien zu erklären, dass diese Zahlen nicht zum Nennwert zu nehmen sind. Wenn eine Ärztin nur halbtags arbeitet, vergleicht die FMH ihr Einkommen mit Ärzten, die vollzeit arbeiten. Ärztinnen verdienen laut FMH 40-50 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Das kann hauptsächlich davon kommen, dass viele Ärztinnen nur teilzeit arbeien. Weil die meisten Frauen Grundversorgerinnen, Kinderärztinnen und Dermatologinnen sind, ist der Einkommensabstand dieser Ärzte-Gruppen zu den fast aussschliesslich von Männern dominierten Fachgruppen der Urologen, Neurochirurgen oder Orthopäden wahrscheinlich nicht so gross wie in der FMH-Statistik ausgewiesen. Die FMH vergleicht also Ungleiches, was sie sonst immer bemängelt, sobald es um Qualitätsvergleich geht. Dann muss man unbedingt darauf hinweisen, dass es sich um die sogenannten AHV-pflichtigen Einkommen handelt. Diese sind nicht zu vergleichen mit Lohneinkommen. Praxisärzte sind freiberuflich tätig, können alle Investitionen, Mieten und Unkosten vom Einkommen abziehen und mit Investitionen ihr Praxis-Vermögen laufend erhöhen.

Danke für den Kommentar! Diese Diskussion ist natürlich auch im Kontext der Einkommensunterschiede zwischen niedergelassenen Ärzten und Spitalärzten zu sehen. Und es gibt markante Kostenunterschiede zwischen den Kantonen. Dazu haben wir 2007 eine empirische Studie vorgelegt. U.P. Gasche hat dies kürzlich ebenfalls in einem Artikel dargelegt. Ich werde sicher in diesem Blog darauf zurück kommen.

Simulierter Markt
Eine gute Idee, die aber leider wohl daran scheitern wird, dass die Ärzte als Vertragspartner des Tarmed einer diesbezüglichen Klausel nicht zustimmen werden. Ein staatlicher Eingriff in den Tarmed wäre nicht systemkonform und auf jeden Fall abzulehnen.
Alternative: Vollständige Unterstellung des OKP-Bereichs unter das Kartellgesetz (wie bei der Zusatzversicherung), dann gibt es keine Einheits-Verbandverträge mehr und Differenzierungen verschiedenster Art wäre bei einzelnen Verträgen möglich. Differenzierungskriterien könnten z.B. die Outcome- oder Service-Qualität sein, aber auch Preise.

Antwort zu Heinz Locher:
Einer vollständigen Unterstellung des OKP-Bereichs unter das Kartellgesetz würde die Ärzteschaft wohl auch nicht zustimmen…
Nicht systemkonform? Ich würde ja lediglich die Taxpunkt-WERTE an die Versorgungsdichte anpassen, nicht den ganzen TARMED umbauen. Das würde den an sich nicht systemkonformen TARMED etwas systemkonformer machen, nämlich etwas marktverträglicher.

Eine Änderung des Kartellgesetzes bedarf glücklicherweise nicht der Zustimmung der Ärzteschaft. Deren allfälliges Referendum muss nicht unbedingt erfolgreich sein. Was den Staat betrifft: Finger weg vom Tarmed – wehret den Anfängen.

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