22.10.2010

Steuergerechtigkeit?

Der Bundesrat ist der Meinung, dass in unserem ausbalancierten Steuerwesen, das über Jahrzehnte entstanden ist, sehr grosse Steuergerechtigkeit herrscht,” meint unser Finanzminister gemäss NZZ.

Die SP ist anderer Meinung und bringt im November eine Steuergerechtigkeitsinitiative zur Abstimmung. Diese verlangt im Kern eine Angleichung der Steuersätze nach oben und will so Steuerwettbewerb verhindern.

Doch was heisst eigentlich Steuergerechtigkeit?

Steuertarif

Meist bezieht sich der Begriff auf die Ausgestaltung des Steuertarifs. Dieser kann dafür sorgen, dass alle absolut gleich viel zahlen (gleiches absolutes Opfer, z.B. Kopfsteuern), alle relativ gleich viel zahlen (gleiches relatives Opfer, d.h. einheitlicher prozentualer Steuersatz) oder alle gleich viel leiden (gleiches Steuerleid, d.h. progressiver Steuersatz).

Hinter letztgenanntem Konzept steht die Idee, dass man jemandem mit hohem Einkommen überproportional viel wegnehmen muss, wenn er das selbe Steuerleid erfahren soll, wie jemand mit geringem Einkommen. Konkret könnte dies heissen, dass jemand mit einem Einkommen von 50′000 CHF und 10% Steuersatz einen gleich grossen Nutzenentgang erleidet, wie jemand mit 1 Million CHF Einkommen und 40% Steuersatz.

Dies würde allerdings voraussetzen, dass man den Nutzen der beiden Einkommensbezüger direkt miteinander vergleichen kann. Man müsste angeben können, wieviel mehr Nutzen der Grossverdiener aus seinem Einkommen im Vergleich zum Kleinverdiener hat, um sagen zu können, dass die 400′000 CHF Steuerlast für ersteren gleich viel wiegt, wie die 5′000 CHF Steuerlast für letzteren.

Wie dieses Beispiel illustriert, ist ein solcher Vergleich unmöglich und beruht letztlich immer auf zufälligen und subjektiven Einschätzungen. Die (Un)Möglichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche ist Gegenstand der gängigen wohlfahrtsökonomischen Literatur.

In der Schweiz wird dieses Problem kaschiert, indem das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angewandt wird. Auch hier bleibt nämlich unklar, ob diesem Prinzip im obigen Beispiel — oder bei jedem anderen Zahlenbeispiel — entsprochen würde. Zudem ist umstritten, ob die Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit einen progressiven Steuersatz zwingend nötig macht. Auch ist zu vermerken, dass ein konstanter Steuersatz (flat rate tax) in Kombination mit einheitlichen, pauschalen Abzügen bei der Bemessung indirekt progressiv wirkt.

Abzugsmöglichkeiten

Ein weniger beachteter Aspekt der Steuergerechtigkeit betrifft die Ausnahmen und Abzugsmöglichkeiten. Von beidem wimmelt es in unserem Steuersystem. Hausbesitzer und Mieter, Verheiratete und Singles, kinderlose und kinderreiche Paare, sie alle haben unterschiedliche Möglichkeiten, um Abzüge bei der Einkommens- und Vermögenssteuer geltend zu machen und diese Abzüge sind erst noch kantonal unterschiedlich.

Weil jeder Abzug (z.B. für den Arbeitsweg oder die Ausbildung) dem Steuerpflichtigen einen Vorteil bietet und die Steuerschuld massgeblich senken kann, muss bei jeder Abzugsmöglichkeit die Frage nach der Steuergerechtigkeit neu gestellt werden. Ist es tatsächlich gerecht, wenn jemand die Kosten für den Arbeitsweg steuerlich geltend machen kann, nur weil er im Grünen wohnt und in der Stadt arbeitet? Warum wird er steuerlich besser gestellt als jemand, der an der selben Stelle arbeitet, aber um die Ecke wohnt und zu Fuss zur Arbeit geht?

Während man sich aus Optik der Gerechtigkeit bezüglich des zu verwendenden Steuertarifs vielleicht noch einigen könnte, scheint mir ein solches Unterfangen bezüglich der Abzugsmöglichkeiten völlig aussichtslos. Insbesondere Anlass, Art und Ausgestaltung der Abzüge lassen sich in ihrer Gesamtwirkung auf den jeweils Steuerpflichtigen nie und nimmer mit Gerechtigkeitsüberlegungen oder dem Prinzip der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit rechtfertigen.

Wir müssen uns damit abfinden, dass sich Herr A und Herr B nicht gerecht besteuern lassen. Herr A ist unverheiratet, zahlt Alimente für zwei minderjährige Kinder, wohnt in Luzern mit seiner Freundin in einer Mietwohnung, arbeitet in Zürich und verdient 250′000 CHF. Herr B ist verheiratet, aber kinderlos, arbeitet in Baden, wo er in einem ererbten Einfamilienhaus lebt und 90′000 CHF verdient. Welches ist hier die gerechte Steuerbelastung?

Komplexität des Steuersystems

Was schliesslich unter Gerechtigkeitsaspekten kaum beachtet wird, ist die Komplexität des Steuersystems. Ich behaupte: je komplexer, umso ungerechter ist ein Steuersystem.

Und dies liegt nicht nur an der Vielzahl zwangsweise ungerechter Abzugsmöglichkeiten, sondern an den zusätzlichen Möglichkeiten zur Steueroptimierung für Wohlhabende.

Prinzipiell sollte ein Bürger seine Steuererklärung nämlich ohne fremde Hilfe ausfüllen können und trotzdem alle ihm zustehenden Abzugsmöglichkeiten vollständig erhalten. Besitzt man Wohneigentum, legt sein Geld in Wertpapieren an, ist selbständig oder an einer Firma oder Erbschaft beteiligt, wechselt den Kanton oder lässt sich scheiden, ist dieses Erfordernis kaum mehr gegeben. Hilfe durch einen Steuerberater ist dann angesagt.

Wohlhabende verfügen oft über verschiedene Einkommensquellen, sind an mehreren Firmen beteiligt, besitzen verschiedene Immobilien und leben in unterschiedlichen Kantonen. Zwecks steuerlicher Optimierung beschäftigen sie Heerscharen von Treuhändern. Diese kennen alle Tricks und Ausnahmen, die dem Normalbürger versagt bleiben. Und je höher das Einkommen oder Vermögen, umso grösser der Anreiz die Schlupflöcher zu nutzen.

In komplexen Steuersystemen wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit immerhin insofern berücksichtigt, als sie Voraussetzung für die Bezahlung teurer Treuhandmandate ist. — Allerdings hat dies wenig mit der gängigen Vorstellung von Steuergerechtigkeit zu tun.

Wer also etwas zugunsten der Steuergerechtigkeit tun will, sollte sich für die Vereinfachung des Steuersystems einsetzen. Dies ist der einfachste und direkteste Weg. Eine Möglichkeit ist etwa die Easy Swiss Tax, die von der FDP vorgeschlagen wird. — Und auch ökonomisch gesehen ist eine Reform des Steuersystems mit dem Ziel der radikalen Vereinfachung durch Einheitstarife und einige wenige Pauschalabzüge der richtige Ansatzpunkt.

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PS: Eine Nebenbemerkung kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen.

Die politische Linke beklagt stets, dass von Reformen zur Steuerentlastung die Reichen immer viel mehr profitieren als die Armen.

Das stimmt — aber warum ist das so?

Die Antwort gibt folgende Grafik der Steuerverwaltung Zürich:

Kommentare

Antwort auf die Frage, warum “Reiche” stets mehr von Steuerentlastungen profitieren als “Arme”:
Weil “Arme” kaum Steuern zahlen – trivial aber richtig.
Wie die Grafik zeigt, tragen in Zürich bei der Einkommensteuer die untersten 50% der Einkommensbezüger lediglich zu 10% des Steueraufkommens bei. Und die untersten 15% der Einkommensbezüger kann man durch Steuersenkungen deshalb nicht beglücken, weil sie praktisch keine Steuern bezahlen.

In Ihrem Beispiel mit den Herrn A und B könnte man vielleicht mit einer Besteuerung basierend auf dem gewichteten Pro-Kopf-Einkommen/Haushalt (inkl. private Transfers und nach Abzug der Wohnungskosten) am ehesten Gerechtigkeit erreichen…

@Brigitte H.: Ja, das könnte man vielleicht… Ob das aber tatsächlich “gerechter” wäre? In jedem Falle führt es zu weiteren Diskussionpunkten, z.B. ob Wohnungkosten abzugsfähig sein sollten. Welche Wohnungskosten – kalkulatorische Normkosten oder die effektiven Kosten…? etc.
Die radikale Vereinfachung des Steuersystems (z.B. nach Muster der Easy Swiss Tax) bliebt für mich der einzige sinnvolle Weg.

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