19.11.2011

Provider of Last Discipline

ChappatteMan kann den Finanzmärkten ja so einiges vorwerfen. Manchmal sind sie launisch. Manchmal bilden sie Blasen. Aber letztlich schaffen sie etwas, das kein Parlament, keine Regierung und kein Stabilitätspakt garantieren kann: sie sorgen für finanzpolitische Disziplin. Ohne den Druck der Finanzmärkte würde das Schuldenmachen in Europa und den USA munter weiter gehen. Berlusconi und Papandreou wären noch im Amt. Patrick Chappatte hat dies in der «International Herald Tribune» treffend bildlich dargestellt.

Nützliche Märkte mit schlechtem Ruf

Volkswirtschaftlich gesehen erfüllen Finanz- und Kreditmärkte eine ganz zentrale Rolle. Sie verbinden das Sparen der privaten Haushalte mit der Investitionstätigkeit der Unternehmen. Ohne die Möglichkeit zum Sparen müssten wir unsere Altersvorsorge zinslos unter der Matratze horten. Und ohne die Möglichkeit zur Kreditnahme müssten Firmen die Mittel für Investitionen zunächst selbst vollständig erarbeiten. Wir hätten dann eine “maximal solide”, aber reichlich ineffiziente Wirtschaft.

Ihren schlechten Ruf haben sich die Finanzmärkte in den letzten Jahren teilweise selbst eingehandelt, indem es aufgrund massiver Liquidität — und damit tiefer Zinsen — zu Übertreibungen und Blasen kam. In wiefern dabei auch die Politik eine tragende Rolle spielte, werde ich in einem anderen Beitrag ausführlicher diskutieren.

Vorerst sei bezüglich der Staatsverschuldung der Euro-Länder nur bemerkt, dass sich die Politiker nicht an die früher vereinbarten Regeln und Kriterien gehalten haben. Die Maastricht-Kriterien, welche Grenzen für die jährliche Neuverschuldung sowie die Gesamtverschuldung eines Landes festlegen, wurden zuerst durch die heutigen “Retter” — Deutschland und Frankreich — massiv verletzt.

Märkte als Verführer?

Man kann den Finanzmärkten nun vorwerfen, dass sie die Politiker in einigen Ländern durch die seit Einführung des Euro tiefen Zinsen verführt hätten. Damit würden wir anerkennen, dass sich ganze Länder und deren Politiker genau so unvernünftig verhalten, wie Konsumenten, die sich aufgrund der Verfügbarkeit billiger Konsumkredite ins Schuldenelend stürzen.

Das mag sein. Interessanter ist aber die Frage, warum es die Finanzmärkte überhaupt so weit haben kommen lassen. Wieso haben sie nicht schon früher reagiert und die Notbremse über höhere Zinsen für Staatsanleihen oder Kreditausfallversicherungen (credit default swaps, CDS) gezogen?

Implizites Bail-Out-Versprechen

Offenbar haben die Märkte auf die Politiker vertraut. Als die Politiker ab 2004 gegen ihre eigenen Verschuldungsregeln zu verstossen begangen und vermehrt Defizite anhäuften, gingen die Märkte davon aus, dass die Politiker der Eurozone verschuldeten Staaten früher oder später zur Hilfe eilen würden. Dieses implizite Bail-Out-Versprechen stand zwar im Kontrast zur offiziellen Politik, welche sich gegen die Vergemeinschaftung von Schulden aussprach, besonders in Deutschland.

Dennoch war klar, dass das “Projekt Euro” für viele Politiker in erster Linie ein politisches Projekt war (und ist). Eines, das mit viel Prestige behaftet sehr lange durchgezogen würde, auch gegen ökonomischen Sachverstand. So blieben die Zinsen zu lange zu tief.

Und die Politiker der Eurozone reagierten, wie es die Märkte vermuteten. Statt Abweichler und Schummler (wie Griechenland) zu bestrafen, wurden sie durch Finanzspritzen und Rettungsschirme belohnt. Das Problem der Zeitinkonsistenz hatte mit voller Wucht zugeschlagen. Die angedrohte Bestrafung bei Verletzung der Maastricht-Kriterien war von Anfang an unglaubwürdig. Das haben die Finanzmärkte durchschaut.

Und die USA?

Ich befürchte, dass eine ähnliche Argumentation auch bezüglich der USA — dem weltweit grössten Schuldner — angebracht sein könnte. Auch hier schauen die Märkte (noch) relativ tatenlos zu. Trotz der rekordhohen Zahlungsbilanzdefizite und der enormen Staatsverschuldung, hat sich der US-Dollar lange nicht abgewertet. Der Grund liegt in der Wirtschaftskraft und Produktivität der USA, die bislang noch als guter Schuldner gilt.

Doch sobald grundlegende Zweifel an der Bonität der USA aufkommen, kann alles ganz schnell gehen. Und ein Bail-Out der USA wäre unmöglich. Durch wen denn auch?

Analog zum griechischen Drama, wo die EU-Staaten ein Interesse an der Rettung der Schuldnerländer haben — allen voran Deutschland und Frankreich, deren Banken stark als Gläubiger involviert sind — müsste sich China, als grösster Gläubiger, um die Rettung der USA bemühen.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Finanzmärkte nicht bereits auf dieses Szenario setzen, stattdessen die Zinsen für die USA rechtzeitig anheben und so ihre Rolle als Provider of Last Discipline annehmen, bevor es für uns alle sehr, sehr teuer wird.

Kommentare

Sehr geehrter Herr Slembeck

Die Finanzmärkte weisen die Politiker in die Schranken? oder Die Finanzmärkte schröpfen Staaten?

Wieso gilt denn das bail-out-Versprechen nicht mehr?

Ich denke nicht, dass es eine gewisse Schuldengrenze diesbezüglich für eine Staaten in der EU gibt. Diese Höhe ist lediglich im Vergleich zu anderen Staaten problematisch, weil es schlicht unfair ist wenn einer mehr Schulden macht als die anderen und irgendwann gerettet werden muss.

Der Grund wieso am bail-out gezweifelt wird ist also nicht bei der Schuldenquote Griechenlands alleine zu suchen. Vielmehr geht es um die gesamt Verschuldung in der EU welche überall in den Jahren seit 2008 extrem gestiegen ist. Spanien zum Beispiel hatte 2000-2007 immer einen Überschuss. In den Jahren 2008-2010 hatte Spanien ein Defizit von 4,1 11,2 und 9,4%des BIP. Portugal hatte zwischen 2000 und 2008 ein durchschnittliches Defizit von 3.6888% des BIP. In den Jahren 2009 und 2010, ein Defizit von 11,9 und 9,2% des BIP.

Weiter sind auch die Konjunktur Erwartungen für die nächsten 2 Jahre nicht rosig.

Italien, Spanien und Portugal kommen ebenfalls den Druck der Finanzmärkte zu spüren. Es wird einfach irgendwann zu teuer für Merkozy. Man kann einfach nicht die Hälfte retten.

Doch letztendlich sind die hohen Zinsen mit einer selbesterfüllenden Prophezeiung gleichzusetzen und machen alle Bemühungen der Politik zunichte. Die Märkte verlangen hohe Zinsen weil Sie es können. Sie sind effizient. Doch sind sie effektiv?

Ebenfalls sollte nicht vergessen werden, dass die Finanzmärkte durch schlechte Kreditvergabe in den den USA eine Hypotheken/Bankenkrise ausgelöst haben. Welche sich durch Auswirkungen auf die Realwirtschaft erheblich auf die Schuldenquoten der Staaten ausgwirkt hat.

Die Tendenzen dass Finanzmärkte sogar Demokratische Entscheidungen kippen können erscheint mir gefährlich.

Können wir die Finanzmärkte also wirklich als Retter in der Krise betrachten? Ich glaube nicht.

Sehr geehrter Herr Zehnder

wenn sich ein privater Haushalt übermässig verschuldet oder eine Firma, dann ziehen die Banken die Notbremse, geben keine Kredite oder verlangen für zusätzliche Kredite höhere Zinsen. Das kann und darf bei Staaten nicht anders sein — selbst wenn die Verschuldung auf “demokratischen Entscheidungen” beruht.

Die Finanzmärkte sind nicht die Retter, aber sie haben den undisziplinierten Regierungen endlich die rote Karte gezeigt. Damit wird allmählich ein Prozess in Richtung weniger Verschuldung eingeleitet, was die Regierungen in Griechenland, Irland, Spanien, Portugal und Italien nicht aus eigener Kraft geschafft haben. Frankreich hat soeben einen Warnschuss vor den Bug erhalten. Die USA werden folgen.

Sehr geehrter Herr Slembeck,

Zwar verstehe ich Ihre Begründung, trotzdem finde ich es befremdend die Finanzmärkte als „Provider of the Last Disciplin“ zu sehen.

Wenn wir uns die letzten 4 Jahre anschauen, sehen wir klar, dass die Finanzmärkte die Politik ausgetrickst haben. Banken wurden sogenannte “systemrelevante Institutionen”, Sie haben also die Rolle “Provider of Last Discipline” für sich selbst ausgeschaltet. Dies hatte zur Folge dass die eigentlichen Probleme der Finanzbranche auf die Staaten überwälzt wurden.

Ursache-Wirkung scheint mir hier klar zu sein!

Oder sehen Sie dies anderst?

Sehr geehrter Herr Zehnder,

ich sollte wohl nicht zu metaphorisch argumentieren, denn das birgt die Gefahr von Missverständnissen. Mein Fehler, denn “die Finanzmärkte” gibt es eigentlich nicht.

Dafür gibt es zwei Problemherde, die auf dem selben Mechanismus beruhen, nämlich einem impliziten Bail-Out-Versprechen, welches falsche Anreize setzt, d.h. zu einem Moral Hazard führt.

In dem von mir diskutierten Fall haben sich gewisse Euro-Staaten auf die Rettung durch andere Staaten verlassen und sich u.a. deshalb übermässig verschuldet. — Sie erwähnen einen anderen Fall, in welchem gewisse Investment-Banken (welche nur einen kleinen Teil des Finanzsektors ausmachen) sich auf die Rettung durch den Staat verlassen haben und deshalb zu hohe Risiken eingegangen sind. Es lohnt sich, dies zu trennen.

Im letzteren Falle haben einzelne, aber wichtige Banken zu wenig Disziplin gezeigt. Aber im ersten Fall mussten die Staaten von den Finanzmärkten diszipliniert werden — bei Papandreou und Berlusconi hat es geklappt. Spanien hat eine neue Regierung. Portugal wackelt.
Gut möglich, dass Frankreich und die USA folgen werden.

Wichtig ist aber, dass die Bankenrettung nur einen kleinen Anteil an der Verschuldungsproblematik dieser Länder hat. Man kann wirklich nicht behaupten, dass etwa Griechenland oder Italien sich wegen der Bankenrettung derart verschuldet hätten. Deren Haushaltsdefizite haben sich während vieler Jahre angehäuft.

Guten Tag Herr Slembeck

Ein interessanter Erklärungsansatz für die lange (zu) geringen Zinsdifferenzen innerhalb der Eurozone.

Allerdings laufen die Ausführungen zu den USA im letzten Abschnitt der Begründung der irrational tiefen Zinsen zuwider. Wenn die Märkte keine implizite Garantie voraussetzen dürfen, wie sie dies in der Vergangenheit in der Eurozone getan haben, weshalb sollten die Zinsen für Staatsanleihen der USA derart tief sein? Die gleiche Frage lässt sich für Japan, einen gemessen am BIP noch grösseren Schuldner, stellen. Die Möglichkeit Staatsanleihen in einer eigenen Währung emittieren zu können scheint in diesem Zusammenhang relevant zu sein. Ebenfalls von Bedeutung dürfte die externe Verschuldung sein; die USA weisen wesentlich geringere relative Externe Nettoverbindlichkeiten auf als die Länder in der Peripherie der Eurozone, auch wenn China der grösste einzelne Gläubiger des Landes ist.

Zudem hat der Begriff POLD eine moralische Komponente, er postuliert implizit die unsichtbare Hand der (empfundenen) Gerechtigkeit. Den Finanzmärkten eine solche Funktion zu unterstellen erscheint gewagt, auch wenn sie schlussendlich der Auslöser für nötige Reformen sein mögen.

Der erhobene Mahnfinger und das Konzept von Schuld (insbesondere im fiskalischen Sinn) und Sühne mögen politisch dankbare Themen sein, führen aber zu falschen Schlüssen. Vermutlich ist dies auch der Grund für die Popolarität der expansiven Sparpolitik, obwohl deren Existenz durch aktuelle Studien widerlegt scheint. Die Ungleichgewichte in der Eurozone, welche auch in der Sicht von S&P wesentliche Gründe für die Krise sind, werden so aber nicht angegangen.

Auch der vielzitierte metaphorische Gürtel, den in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht nur die Haushalte sondern auch der Staat enger zu schnallen haben, beruht auf einer moralisch motivierten Intuition. Auf den zweiten Blick ist diese Beziehung nicht so eindeutig, denn diese fiskalpolitische Reaktion kann die negativen Effekte des Nachfrageschocks verstärken. Wenn die Regierung einer Volkswirtschaft vorübergehend vermehrt ihre Kapazität zur Verschuldung zu günstigen Konditionen nutzt, kann dies den Haushalten helfen ihre Schuldenlast zu reduzieren. Evidenz für diese Theorie liefert eine neue Studie des McKinsey Global Institutes, welche zeigt, dass in den USA Fortschritte bei der Senkung der privaten Verschuldung erzielt wurden.

Reformen sind nötig, auch in den USA, eine moralisch motivierte Schuldendebatte hat aber geringe Aussichten, die Ursachen der aktuellen Krise zu identifizieren und Lösungen zu formulieren. Im Gegensatz zur Moralfrage liegen aber genau diese im Fokus der Märkte und Ihrer Teilnehmer.

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