25.04.2010

Griechenland retten?

Wir leben in Zeiten staatlicher Rettungsaktionen. In der Schweiz wurde 2001 die Swissair vor dem definitiven Grounding gerettet. Im Rahmen der Banken- und Finanzkrise 07/08 rettete der Staat die UBS vor dem Bankrott. Weltweit gab es ähnliche Aktionen für notleidende Banken und Versicherungen. Und nun soll ein ganzer Staat, nämlich Griechenland, gerettet werden. Ist das eine gute Idee?

Das Problem war vorhersehbar und wurde von Ökonomen in den 1990er Jahren intensiv diskutiert. Wenn ein Staat über seine Verhältnisse lebt und Defizite macht, steigen die Zinsen und seine Währung wertet sich ab. Normalerweise. Ist das Land nämlich Teil einer Währungsunion, wie Griechenland, kann es seine Währung nicht mehr autonom abwerten und die Gemeinschaftswährung, sprich der Euro, kommt unter Druck. Zudem steigen die Zinsen weniger als sie müssten, weil die Finanzmärkte davon ausgehen, dass das Land von den Partnern gerettet wird. Steigende Zinsen und fallende Währung dienen als natürliche Bremse staatlicher Verschuldung, doch ist dieser Mechanismus aufgrund der Delegation von Geld- und Währungspolitik an die EU weitgehend ausgeschaltet.

Optimaler Währungsraum?
Das Problem besteht also in der Entkoppelung von Geld- und Fiskalpolitik, indem die disziplinierende Wirkung ersterer auf letztere sowie die nationale Abstimmung beider Politiken entfällt. Dies hatte man im Vorfeld der europäischen Währungsunion im Prinzip erkannt. In den 1990er Jahren stellte Europa noch keinen optimalen Währungsraum dar.

Die Kriterien für einen solchen Währungsraum waren damals ein beliebtes Prüfungsthema an Schweizer Hochschulen — jedenfalls im Fach Volkswirtschaftslehre. Im Grundsatz sollten sich die Partnerländer wirtschaftlich ähnlich sein, d.h. keine allzu grossen Unterschiede bezüglich Arbeitslosigkeit, BIP pro Kopf, Inflation aufweisen, damit makroökonomische Schocks gut absorbiert werden können und es nicht zu Ungleichgewichten kommt (vgl. EU-Parlament).

Auch das Problem mangelnder fiskalpolitischer Disziplin von Mitgliedsländern wurde erkannt. Deshalb wurden die sog. Maastricht-Kriterien (Konvergenzkriterien) für alle Länder aufgestellt, die der Währungsunion beitreten wollten. Neben einer moderaten Inflationsrate, durfte in einem Beitrittsland die jährliche Nettoneuverschuldung nicht mehr als 3% des Bruttoinlandsprodukts betragen und der gesamte Schuldenbestand durfte nicht mehr als 60% des BIP ausmachen. Das waren die Beitrittsbedingungen.

Nach dem Beitritt zum Euroraum wurden diese Bedingungen allerdings nicht mehr durchgesetzt, obwohl die beiden Haushaltskriterien (aufgrund des Drängens des deutschen Finanzministers Theo Weigel) eigentlich noch Gültigkeit haben. Schon 2002 und 2003 verstiessen ausgerechnet Deutschland und Frankreich gegen die Regeln – und wurden moderat gebüsst. Heutzutage könnte eine Reihe wichtiger Länder dem Euro nicht mehr beitreten, nämlich Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Portugal und natürlich Griechenland. Sie alle halten die Maastricht-Kriterien nicht ein (vgl. hier).

Problem der Zeitinkonsistenz
Interessanterweise müsste insbesondere Griechenland aufgrund der Kriterienverletzung eigentlich von der EU massiv finanziell gebüsst werden. Stattdessen geschieht das Gegenteil. Das Land wird nun finanziell unterstützt. Die EU steht hier vor einem Dilemma, das in der Ökonomie wohl bekannt ist und als Zeitinkonsistenz bezeichnet wird. Im Voraus wird mit Massnahmen gedroht, falls ein bestimmtes Verhalten nicht erfolgt. Zum Zeitpunkt, in dem es dann aufgrund der Nichteinhaltung zu Sanktionen kommen müsste, werden diese dann aber nicht durchgesetzt, weil dies die Situation noch verschlimmern würde. Im Grunde erweist sich die Drohung im Nachhinein also als unglaubwürdig und das wissen die Beteiligten im Voraus.

Das Problem der zeitlichen Inkonsistenz ist bei politischem Handeln stets virulent. Auch wenn der Staat einer Firma droht, sie bei anstehendem Bankrott nicht zu retten, stellt sich die Frage wie glaubhaft diese Drohung im Zeitpunkt des effektiven Bankrotts noch ist. Ist die Firma bedeutsam genug, kann sie dennoch auf staatliche Rettung zählen. Das haben wir bei den Banken erlebt.

Griechenland ohne Euro
Analog konnte Griechenland auf die Rettung durch die EU zählen und hat wohl auch deshalb ungenügende Haushaltsdisziplin geübt. Denn es war klar, dass der Euro unter Druck kommen würde und die EU etwas zugunsten Griechenlands unternehmen müsste, statt die vertraglich verankerten Geldbussen zu verhängen. Es handelt sich um das selbe Szenario einer impliziten Versicherung, das zu risikoreichem oder undiszipliniertem Verhalten (sog. moral hazard) führt, wie wir es bei der UBS erlebt haben. Die einzig richtige Konsequenz wäre der Ausschluss Griechenlands aus der Währungsunion. Das wäre zwar politisch ein gewagter Schritt, würde aber zugleich für alle Mitgliedsländer das richtige Signal setzen.

Liberale Sicht
Aus liberaler Sicht sind die wiederholten Rettungsaktionen höchst bedenklich.  In der Marktwirtschaft kommt es stets zu Übertreibungen und Überreaktionen. Muss der Staat deshalb eingreifen? Die obigen Beispiele zeigen klar, dass staatliche Absicherungen und Rettungen die Sache in aller Regel nicht besser machen, sondern verschlimmern. Der Moral Hazard wird durch staatliches Eingreifen erst verursacht. Die Möglichkeit des Scheiterns muss zur Disziplinierung der Akteure, auch der Staaten selbst, unbedingt erhalten bleiben.

Problematisch bleiben aber dennoch Situationen, in denen das Fehlverhalten eines Akteurs grosse negative Auswirkungen (Externalitäten) auf andere Akteure oder das ganze System hat. Hier wird der Staat oder die Staatengemeinschaft immer versucht sein, einzugreifen. Die Überwindung der zeitlichen Inkonsistenz kann höchstens durch klare Regeln und glaubhafte Automatismen gelingen. Allerdings fehlt oft die Möglichkeit, letztere bindend zu implementieren.

Der Mangel an politischer Selbstbindung kann in manchen Fällen auf nationaler Ebene durch eine verfassungsmässige Verankerung oder institutionelle Regelung überwunden werden. Was in der Verfassung steht, kann in den meisten Ländern nicht so einfach umgangen und allenfalls vor das Verfassungsgericht gebracht werden. Die institutionelle Unabhängigkeit von Notenbanken dient ebenfalls der Überwindung zeitlicher Inkonsistenz in der Geldpolitik. Auf internationaler Ebene fehlen solche Verankerungsmechanismen allerdings weitgehend.

PS: Ein allfälliger Bailout Griechenlands durch die EU und den IWF liefert ein weiteres Beispiel für eine Anreizunverträglichkeit. Denn eine Rettung birgt die massive Gefahr, dass auch andere Länder mit mangelnder Haushaltsdisziplin vorstellig werden. Damit verkehrt sich die ursprüngliche Absicht der Rettungsaktion — die Stabilisierung des Euro — in ihr Gegenteil. Durch den Tabubruch wird der Euro weiter geschwächt.

Wiederum besteht das zentrale Problem darin, dass die Politik über keine Möglichkeit verfügt, die Einmaligkeit einer hellenischen Rettung glaubhaft zu verankern. Das Zeitinkonsistenzproblem wird wiederkehren…

Kommentare

Auszug aus Gregs Blog:
Time inconsistency is illustrated most simply in a political rather than an economic example‑‑specifically, public policy about negotiating with terrorists over the release of hostages. The announced policy of many nations is that they will not negotiate over hostages. Such an announcement is intended to deter terrorists: if there is nothing to be gained from kidnapping hostages, rational terrorists won’t kidnap any. In other words, the purpose of the announcement is to influence the expectations of terrorists and thereby their behavior.

But, in fact, unless the policymakers are credibly committed to the policy, the announcement has little effect. Terrorists know that once hostages are taken, policymakers face an overwhelming temptation to make some concession to obtain the hostages’ release. The only way to deter rational terrorists is to take away the discretion of policymakers and commit them to a rule of never negotiating. If policymakers were truly unable to make concessions, the incentive for terrorists to take hostages would be largely eliminated.

“Steigende Zinsen und fallende Währung dienen als natürliche Bremse staatlicher Verschuldung … ” Das ist leider nur in der Theorie so. Tatsächlich haben eigentlich alle Politiker der südlichen Länder eine schwache Währung und höhere Zinsen jahrzentelang in Kauf genommen um ihre Schuldenpolitik zu kaschieren.

“Heutzutage könnte eine Reihe wichtiger Länder dem Euro nicht mehr beitreten ….” Es sieht sogar noch schlimmer aus. Laut Handelsblatt Deutschland vom 26.4. erfüllen nur noch Luxemburg (-0.7%) und Finnland (-2.2)% die durch Maastricht vorgegebene Grenze von -3.0 jährlicher öffentlicher Finanzierungssaldo netto in Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Italien hat zumindest die Disziplinierung durch die gemeinsame Währungsunion eine recht positive Entwicklung genommen (momentan -5.3%).

Spiegel Online vom 28.4. gibt die Gesamtschulden von Griechenland bei Banken im Ausland mit 302 Milliarden US-Dollar an (Quelle: Bank für Internationalen Zahlungsausgleich). Bei Schweizer Banken ist Griechenland mit 64 Milliarden US-Dollar verschuldet. Im Tagesanzeiger vom 28.4. wird das Problem im Artikel “Die Griechen und das Schweizer Geld” heruntergespielt, nur weil diese Gelder momentan nicht fällig sind?

Einen freiwilligen Austritt aus der gemeinsamen Währung halte ich für unwahrscheinlich, ein rechtlicher Ausschluss aus disziplinarischen Gründen ist nicht vorgesehen. Eine kurzfristige Kapitalhilfe der EU, eine strenge Sparpolitik der Regierung durch Abbau von Subentionen und sehr grosszüger Sozialleistungen und eine gezielte Umschuldungsstrategie könnten doch auch zu einem Erfolg führen. Immerhin ist das laut Focus Deutschland mindestens der 90. Staatsbankrott in der Geschichte.

Vielen Dank für die Präzisierungen, Gerald!
Zwar ist ein Austritt aus der Währungsunion nicht vorgesehen, aber vielleicht ist eine Redimensionierung der Eurozone unvermeidlich; vgl. das Interview hier.

Nachtrag vom 1.5.10
Kanzlerin Merkel macht gemäss “Bild am Sonntag” bereits klare Andeutungen in Richtung einer schäferen Gangart:
In letzter Konsequenz muss es künftig möglich sein, einem Land, das seine Verpflichtungen nicht einhält, zumindest vorübergehend das Stimmrecht zu nehmen. Deutschland hält das für unerlässlich.
Zudem sollen die Euro-Regeln verschärft werden: “Dazu gehören mit Sicherheit Änderungen der Sanktionen bei Verstößen gegen die Euro-Stabilitätsregeln.” Quelle: Spiegel Online

[...] zu bestrafen, wurden sie durch Finanzspritzen und Rettungsschirme belohnt. Das Problem der Zeitinkonsistenz hatte mit voller Wucht zugeschlagen. Die angedrohte Bestrafung bei Verletzung der [...]

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