17.06.2012

Managed Care: 5er und Weggli weiterhin beliebt

Kommentar zur Abstimmung über die Managed Care Vorlage

Das Volk und die Stände haben die Managed Care Vorlage heute wuchtig verworfen. Das allseits prognostizierte Scheitern ist eingetreten. Nachdem sich viele ehemalige Befürworter in den letzten Monaten abgewandt hatten, gab es keine schlagkräftige Pro-Lobby mehr. Was die Gesundheitspolitiker aller Parteien in 8 Jahren ausgearbeitet hatten, war ein Kompromiss, der bei den eigenen Parteimitgliedern nicht gut ankam. Der überparteiliche Konsens von Sommaruga, Bortoluzzi, Gutzwiller und Humbel zerbrach am Widerstand der Nicht-Gesundheitspolitiker und der geballten Vetomacht der Ärzteschaft.

Es zeigt sich einmal mehr, dass eine komplexe Vorlage nicht nur im Parlament ausgearbeitet, sondern anschliessend auch den Parteien und dem Volk schmackhaft gemacht werden muss. Kommunikativ war die Vorlage seitens der Befürworter ein Fiasko. Die Gegner fanden die richtigen Reizwörter (Abschaffung der freien Arztwahl, keine Macht den Kassen) sowie die nötigen Gelder, sodass der Abschuss leicht fiel.

Dies ist das absehbare Ergebnis, wenn eine Vorlage, welche komplex ist und auf einem breiten, aber schwach abgestütztem Konsens beruht, auf eine hoch motivierte Gegnerschaft mit simplen Parolen und grosser Kriegskasse trifft.

Nicht nur in der Gesundheitspolitik erscheint das Volk notorisch zwiespältig, doch hier besonders. Der medial befeuerte Aufschrei bei Prämienerhöhungen kontrastiert mit dem Verhalten an der Urne, wo die Komplementärmedizin in die Verfassung geschrieben, aber integrierte Versorgungsnetze abgelehnt werden. Weitere Gesundheitsreformen werden es deshalb schwer haben.

Von aussen betrachtet finde ich es nach wie vor erstaunlich, wie sehr die Bevölkerung anscheinend an der „freien Arztwahl” hängt – obwohl diese durch die Vorlage nicht abgeschafft würde und im Bereich der Spitalversorgung ohnehin nicht besteht.

Was als „natürliches Recht“ angesehen wird, ist Gewöhnungssache. Dass es bei uns keine freie Schulwahl gibt, scheint die meisten Schweizerinnen und Schweizer nicht ernstlich zu stören. In der Schule sind wir es gewohnt, dass der Staat bestimmt. Die Zürcher haben heute die Initiative für eine freie Schulwahl mit 80% Nein abgelehnt.

Zuletzt noch das Gute: der unglückliche Begriff „Managed Care“ wird verschwinden, die integrierten Netzwerke werden sich durchsetzen – die Bevölkerung braucht einfach noch Zeit, um die Vorteile zu erkennen.

Kommentare

Beschwerden über die steigenden Gesundheitskosten und Leistungen ausbauen. Das geht auf die Einstellung zurück, das Recht auf etwas zu haben, ohne die nötige Leistung vorauszuschicken. Es zeigt sich leider auch bei der Altersvorsorge. Das Volk lehnte die BVG-Revision ab, warum die Politik sich fürchtet, die AHV angemessen zu reformieren. Während das Volk sich bei den Sozialwerken bedient (ich glaube nur 6 % der Leistungen sind bedarfsabhängig), die zunehmend von „progressiven“ Steuersubstrat gespiessen werden, revidierte es kaltlächelnd die ALV und IV. Ich glaube seit 1990 stiegen die Bundesausgaben für das Sozialwesen von ca. 7 auf 21 Mia. Sfr. an, oder von ca. 1/5 auf 1/3 vom Budget. In IV und ALV wird mehr gefordert. Auf der einen Seite immerhin etwas, auf der anderen bedenklich. Wenn es darum geht von kleinen Gruppen zu fordern, ist das (Stimm-)Volk Leistungsfordernd, trifft es alle, kommt Freiheit, Solidarität usw.

Neben dem unschönen moralischen Aspekt, haben die Befürworter die emotionale/psychologische Komponente übersehen. Die Furcht den eigenen Hausharzt vielleicht zu verlieren überwiegte. Einige fürchteten, dass ein Ausbau von Managed Care die freie Arztwahl tatsächlich unterbindet und die Versicherungen ihnen vorschreiben, zu wem sie zu gehen haben. Angst und Schlagworte sind Katalysatoren für gute Budgets. Man muss anerkennen, dass ein Bürger dem Arzt erlaubt seine Privatsphäre und Körper zu verletzen. Menschen liefern sich aus. Das ist nicht dasselbe wie die Schule. Die physische Integrität spielt bei den Bürgern eine grosse Rolle. Daher hat die Angst eine gewisse Legitimität. Und ist Angst da, treten Fakten in den Hintergrund.

Die verständliche Angst macht das Nein jedoch auch besonders beschämend. Personen in der IV müssen sich IV-Experten ausliefern. Das Volk verlangte von ihnen, dass sie Mühen – somit sicher auch Schmerzen – auf sich nehmen, um wieder ein produktiver Teil der Gesellschaft zu werden.

Bei der Abzocker Initiative werden wir wohl bald ähnliches erleben. Wie stehen eigentlich die Ökonomen zu dieser Initiative? Ist sie wirklich schädigend für den Wirtschaftsstandort Schweiz?

Guten Tag,
Die Abstimmung mit der Schulwahl zu vergleichen hinkt meiner Meinung nach, denn da ist man doch sehr oft ortsgebunden, oder will jemand seine Kinder jeden Tag mehrere Kilometer in die gewählte Schule fahren? Zum Arzt gehe ich ja zum Glück nur selten und da würde ich dann schon ein paar Minuten mehr Fahrt in Kauf nehmen.

@Tobias Schmid
Wie “die Ökonomen” zur Abzockerinitiative stehen, kann ich nicht sagen. Vor gut 2 Jahren habe ich hier etwas darüber geschrieben. Für mich gehört die Initiative eher in die Kategorie der “gesellschaftlichen Psychohygiene”, d.h. sie bringt wenig, schadet wenig, ist aber gut fürs Volk.

Löhne, die von einer Mehrheit der Bevölkerung als übertrieben beurteilt werden, schaden allerdings schon. Denn sie lösen zusätzliche Eingriffe in die Marktwirtschaft aus. Das sollten sich die Megaverdiener endlich mal bewusst werden und dieser Verantwortung müssen sie sich stellen.

@Philippe Schnyder
Das hängt wohl stark von der Perspektive ab. In vielen Ländern wählen die Eltern ihren Wohnort so, dass die Kinder in die gewünschte Schule gehen können. Bei uns ist das kein Thema, weil wir eine staatliche Einheitsschule ohne Wahlfreiheit haben. Mehr zu diesem Thema habe ich hier geschrieben.

Erst wer in einem anderen Land (z.B. NL oder USA) lebt merkt, dass die Schulwahl dort ein grosses Thema ist, während die Arztwahl überhaupt nicht diskutiert wird. Was wir wählen können wollen, ist eben wirklich Gewohnheitssache. — Die schweizerische Fokussierung auf die Arztwahlfrage versteht ausserhalb Helvetiens jedenfalls niemand; vgl. auch mein Beitrag hier.

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